08.06.2017

Fahren nach Cannabiskonsum ist regelmäßig mindestens fahrlässige Ordnungswidrigkeit

Erlaubter Rückschluss auf eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit bei einer den analytischen Grenzwert von 1 ng/ml erreichenden THC-Konzentration im Blut

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.2.2017 – 4 StR 422/15
 

In der Rechtsprechung besteht bereits länger weitestgehend Einigkeit, dass derjenige, der in zeitlicher Nähe zu einer Fahrt mit dem Kraftfahrzeug Cannabis konsumiert hat, fahrlässig einen Sorgfaltspflichtverstoß bezüglich des Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel begeht, wenn eine Konzentration des Cannabis-Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) ab 1,0 ng/ml (sogenannter analytischer Grenzwert) im Blut des Betroffenen festgestellt wird. Dies gilt auch ohne dass der Betroffene sich dabei bewusst macht, dass das Rauschmittel noch nicht unter diesen analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml abgebaut ist.

Unterschiedlich wurde dies jedoch von verschiedenen Oberlandesgerichten dann beantwortet, wenn der Zeitpunkt des Cannabiskonsums nicht in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt lag, aufgrund verschiedener Einflussfaktoren, die den Abbau von THC verzögerten, jedoch der analytische Grenzwert von 1,0 ng/ml noch nicht unterschritten wurde. Während ein Teil der Oberlandesgerichte auch in diesen Fällen ausschließlich an die festgestellte THC-Konzentration im Blut anknüpfte und die wenigstens fahrlässige Tatbegehung bejahte, verlangten andere Oberlandesgerichte in Fällen, in denen der Cannabiskonsum bereits etwas längere Zeit zurücklag weitere Beweisanzeichen zu Lasten des Betroffenen, bevor aus der THC-Konzentration im Blut auf eine wenigstens fahrlässige Fahrt unter Rauschmitteleinfluss geschlossen werden dürfe.

Dieser den Betroffenen günstigen Rechtsauffassung hat der Bundesgerichtshof nunmehr eine Absage erteilt. Der BGH hat die Streitfrage verbindlich dahingehend entschieden, dass auch bei bereits länger zurückliegendem Cannabiskonsum bereits alleine aus der Feststellung einer THC-Konzentration im Blut ab 1,0 ng/ml der Rückschluss auf die wenigstens fahrlässige Tatbegehung einer Fahrt unter Rauschmitteleinfluss zulässig ist, sofern nicht umgekehrt besondere Beweisanzeichen vorliegen, die dies in Frage stellen könnten.

Anmerkung:

Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.2.2017 ist die bisherige im Sinne der Betroffenen großzügigere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Karlsruhe, Stuttgart und Saarbrücken überholt. Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass im Regelfall alleine die Feststellung einer THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml die tatrichterliche Feststellung eines objektiv und subjektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens des Betroffenen bezüglich der fortdauernden Cannabiswirkung zum Zeitpunkt der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug rechtfertigt, auch wenn der Zeitpunkt des Cannabiskonsums schon etwas länger zurückliegt. Nur insoweit, als durch besondere Beweisanzeichen Hinweise darauf bestehen, dass der Betroffene vor Fahrtantritt hier an sich alle ihm zumutbaren bzw. von ihm zu erwartenden Maßnahmen ergriffen hat um sicherzustellen, dass er nicht unter der Wirkung einer den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml zumindest erreichenden THC-Konzentration im Blut steht, kommt ausnahmsweise eine andere Beurteilung in Betracht. Dabei sind die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen sehr hoch: Der BGH verlangt, dass der Betroffene vor Antritt der Fahrt durch „gehörige Selbstprüfung“ und, soweit erforderlich, auch durch „Einholung fachkundigen Rates“ sicherstellt, nicht mehr unter Einwirkung von Cannabis zu stehen (also keine die Wirksamkeitsgrenze von 1,0 ng/ml erreichende oder übersteigende THC-Konzentration mehr im Blut zu haben). Dabei reicht es nicht aus, wenn der Betroffene keine für ihn spürbaren Auswirkungen des aufgenommenen Rauschmittels mehr wahrnimmt, denn dies ist regelmäßig bereits nach wenigen Stunden der Fall, während eine den analytischen Grenzwert (bis zu dem eine körperliche Wirksamkeit des THC möglich ist) überschreitende THC-Konzentration im Einzelfall auch noch nach mehreren Tagen gegeben sein kann. Sofern eine eindeutige Beurteilungsgrundlage nicht zu erlangen sei, müsse der Betroffene vorsichtshalber davon Abstand nehmen mit dem Kraftfahrzeug zu fahren, um so sicherzustellen, dass er nicht unter der Wirkung einer den analytischen Grenzwert zumindest erreichenden THC-Konzentration im Blut ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt.